Parkst du noch oder lebst du schon? - Mehr Flächengerechtigkeit in der Mobilität

Parkst du noch oder lebst du schon? - Mehr Flächengerechtigkeit in der Mobilität

Wie können Kommunen den Platz für Autos, Fußgängerinnen und Radfahrer optimal verteilen? Welche Lösungen haben Neustadt an der Weinstraße und Kaiserslautern? Ein Beitrag über neue Ideen und Beispiellösungen!

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AUSLESE - DARUM GEHT`S HIER:

  • Bedeutung des Radverkehrs nimmt zu - Überlegungen für mehr Bewegung im Freien
  • Wie der Platz für Autos, Radfahrer und Fußgänger optimal verteilt werden kann
  • Radverkehrskonzept und Radbeauftragte: Beispiele Neustadt und Kaiserslautern

Um mehr Abstand und Bewegung im Freien zu ermöglichen, legten einige Stadtverwaltungen während der Corona-Pandemie temporäre Radwege an, erlaubten – wie in Mainz – das Aufstellen von Tischen und Stühlen, wo sonst Autos parken. Sie sperrten Straßenzüge zugunsten größerer Wochenmärkte und richteten Spielstraßen ein, um Kindern mehr Raum zum Austoben zu geben. Sie bewiesen Mut zum Experimentieren und Ausprobieren, wo er sonst gern mal fehlt.

Studien zeigen, dass Städte rund 60 Prozent ihrer Verkehrsfläche Kraftfahrzeugen überlassen. Ebenso viel Prozent der Kommunen sehen in der Dominanz des Individualverkehrs einen Konflikt für den öffentlichen Raum. Jede dritte Kommune strebt daher einen Rückbau von Verkehrsräumen an. Aus Sicht der Bevölkerung eine gute Entscheidung:

Laut aktuellem Baukulturbericht der Bundesstiftung Baukultur (BSBK) erwartet jeder dritte Bürger ein größeres Angebot an öffentlichen Räumen. Neun von zehn wünschen sich eine Umgestaltung von Städten und Gemeinden: Menschen sollten kaum noch auf das Auto angewiesen sein, sondern ihre Wege zu Fuß, mit dem Fahrrad oder öffentlichen Verkehrsmitteln bestreiten können. Das steigert die Lebensqualität.

"9 von 10 Bürgern wünschen sich eine Umgestaltung von Städten und Gemeinden."

aktuelle Studie der Bundesstiftung Baukultur

Vorhandene Flächen neu verteilen

„Autos, Radfahrer und Fußgänger haben sehr unterschiedliche Geschwindigkeiten“, sagt Dr.-Ing Johannes Schlaich, Professor für Mobilität und Verkehr an der Beuth-Hochschule in Berlin. „Umfragen zeigen, dass die Verkehrsteilnehmer am liebsten 'für sich' sind, also idealerweise in ihrem eigenen geschützten Raum unterwegs sein können.“ Da der Platz auf der Straße allerdings begrenzt und die Versiegelung neuer Flächen für das Stadtklima keine Option ist, muss der vorhandene Platz sinnvoll neuverteilt werden. „Dabei wird es auch Verlierer geben“, so Schlaich. Typischerweise gehören Autos zu dieser Gruppe.

„Wenn wir es mit der Verkehrs- und Klimawende ernst meinen, dann brauchen wir einen starken Radverkehr, um kurze und mittlere Fahrtweiten machen zu können“, konstatiert Schlaich. Um das Radfahren attraktiver zu gestalten, müsse zum einen die Qualität gesteigert werden: Das heißt, Radfahren muss sicherer, schneller und komfortabler werden. „Für Sicherheit müssen wir vor allem an Kreuzungen sorgen“, erklärt Schlaich. „Schneller wird es, wenn wir Überholmöglichkeiten schaffen und Ampelschaltungen für Radfahrer optimieren. Ebene Oberflächen machen das Radfahren komfortabler.“ Zum anderen bräuchten Radfahrer künftig mehr Platz. „Noch haben wir wenig Fahrradstau, doch es beginnt schon jetzt, hier und da eng zu werden“, so Schlaich.

Wie könnte ein Ausbau der Radverkehrsanlagen in den 30 größten Städten Deutschlands aussehen? Dieser Frage ist Greenpeace e.V. in seiner Studie „Mehr Platz für Radwege, weniger für Autos“ nachgegangen. Die Studie baut auf den Vorgaben des Berliner Mobilitätsgesetzes auf. Dieses Gesetz schreibt sichere und komfortable Radverkehrsanlagen an allen Hauptverkehrsstraßen vor. „Für die Studie haben wir über OpenStreetMap alle Straßen ermittelt, die zwei oder mehr Fahrstreifen je Richtung haben“, berichtet Schlaich, der die Studie im Auftrag von Greenpeace erstellt hat. „Dort gibt es grundsätzlich Potenzial, großzügige und geschützte Radverkehrsanlagen anzulegen, ohne zusätzliche Fläche zu versiegeln oder Fußgängern Platz zu nehmen, indem rechte Fahrstreifen umgewandelt oder – wo vorhanden – ein Parkstreifen durch eine Radverkehrsanlage ersetzt werden“, so Schlaich. Die so ermittelte Streckenlänge gibt Städten und Kommunen eine Indikation des Möglichen.

Laut der Studie ergibt sich für die 30 größten Städte Deutschlands ein Investitionsvolumen von 2,75 Milliarden Euro. Im Schnitt bedeutet das 150 Euro pro Kopf. Beachtet man, dass Infrastrukturmaßnahmen kein Ein-Jahres-Projekt sind, sondern beispielsweise über fünf Jahre hinweg getätigt werden, können Städte und Kommunen mit jährlichen Pro-Kopf-Investitionen von weniger als 30 Euro rechnen. „Das ist deutlich mehr, als heute eingeplant ist“, sagt Schlaich. „Aber im Vergleich zu anderen Verkehrswegeinvestitionen und ausländischen Städten auch nicht viel.“ So investiert Kopenhagen beispielsweise pro Kopf rund 40 Euro jährlich in die Fahrradinfrastruktur.

"Mit jährlichen Pro-Kopf-Investitionen von weniger als 30 Euro könnte die Fahrradinfrastruktur verbessert werden."

Dr.-Ing Johannes Schlaich

Nimmt Fahrt auf: Radverkehrsplanung in Rheinland-Pfalz

Auch in Rheinland-Pfalz nimmt die Bedeutung des Radverkehrs zu. So gibt es in Kaiserslautern zwar bereits seit den 1990er-Jahren einen Radverkehrsbeauftragten, doch war das Amt bisher als Zusatzaufgabe ausgelegt.

Erst 2019 wurde eine neue Stelle in der Stadtentwicklung ausgeschrieben, die Julia Bingeser im August dieses Jahres übernommen hat. „Auch in Kaiserslautern sind die Flächen begrenzt und unterliegen einem immer höheren Nutzungsdruck“, sagt sie. „Um eine klimafreundliche Verkehrswende einzuleiten, müssen wir die bestehenden Verkehrsflächen neu aufteilen und dabei Gewohnheiten wie das flächendeckende und kostengünstige Parken im öffentlichen Straßenraum kritisch hinterfragen.“

"Um eine klimafreundliche Verkehrswende einzuleiten, müssen wir die bestehenden Verkehrsflächen neu aufteilen."

Julia Bingeser, Radverkehrsbeauftragte Kaiserslautern

Dies geschieht unter anderem im Zuge von Deckensanierungen: Muss eine Straße saniert werden, bewertet Kaiserslautern die Aufteilung des Straßenraums neu. Macht eine Erweiterung der Radinfrastruktur Sinn, markiert die Stadt neue Rad- und Schutzstreifen. Darüber hinaus errichtet Kaiserslautern Umweltspuren, Fahrradstraßen auf wichtigen Radverbindungen sowie gemeinschaftlich genutzte Flächen in verkehrsberuhigten Bereichen.

Bei allen Maßnahmen spielt Verkehrssicherheit eine entscheidende Rolle: „Für schwächere Verkehrsteilnehmer besteht oft ein großer Unterschied zwischen der subjektiven, gefühlten Verkehrssicherheit und der objektiven, die zum Beispiel durch Unfallstatistiken belegt ist“, erklärt Bingeser. Die subjektive Verkehrssicherheit entscheide jedoch darüber, ob sich jemand aufs Fahrrad schwinge oder lieber ins Auto steige. Das müsse bei der Verkehrsplanung berücksichtigt werden.

Es braucht Kümmerer: Beispiel Neustadt an der Weinstraße

Auch Neustadt an der Weinstraße möchte sein Radverkehrskonzept mit einem Radverkehrsbeauftragten ins Rollen bringen: Seit 2017 setzt sich Arnold Merkel ehrenamtlich für diese Mission ein. „In jeder Gebietskörperschaft braucht es einen Kümmerer“, sagt er. „Es geht darum, die Interessen von Auto- und Radfahrern miteinander in Einklang zu bringen und ein ordentliches Miteinander zu schaffen.“ Dafür hat Neustadt einen Arbeitskreis eingerichtet, bei dem sich die Parteien, der Allgemeine Deutsche Fahrrad-Club (ADFC), der Allgemeine Deutsche Automobil-Club (ADAC) sowie der Verkehrsclub Deutschland (VCD) regelmäßig treffen und Verbesserungen sowie Anliegen von Bürgern und Wirtschaftsvertretern diskutieren.

 

„Für Erledigungen fahren viele Menschen mit dem Auto ins Zentrum von Neustadt“, berichtet Merkel. Akute Parkprobleme sind die Folge. Neue Ansätze zu finden, ist Merkel wichtig: „Viele Geschäfte haben Sorge, dass die Menschen nicht mehr in die Stadt kommen, wenn die Parkflächen reduziert oder teurer gemacht werden“, sagt er. „Doch handelsübliche Mengen lassen sich auch mit dem Rad gut transportierten.“ Fällt der Einkauf größer aus, könnten die Geschäfte zusätzlichen Service bieten und Taschen und Tüten für einen Obolus nach Hause liefern.

"Wir möchten die Interessen von Auto- und Radfahrern miteinander in Einklang zu bringen."

Arnold Merkel, Radverkehrsbeauftragter Neustadt an der Weinstraße

Vom Land in die Stadt und wieder zurück

Radverkehr ist nicht das einzige Verkehrsmittel, das platzsparend und umweltschonend ist. Zufußgehen oder Bus und Bahn nutzen, sind ebenfalls wichtige Bestandteile des Umweltverbundes. Das Problem: „In den vergangenen Jahrzehnten haben wir die Investitionen in den öffentlichen Verkehr schleifen lassen“, sagt Uta Bauer, die beim Deutschen Institut für Urbanistik (difu) im Forschungsbereich Mobilität arbeitet. „Während wir Straßen systematisch ausgebaut und die Rahmenbedingungen für das Auto kontinuierlich verbessert haben, haben wir in den öffentlichen Verkehr nur wenig investiert und Trassen teilweise sogar stillgelegt.“ Dabei gilt der Schienenverkehr im öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) als besonders attraktiv: Während Busse ihre Fahrspuren in der Regel mit Autos teilen müssen und dadurch häufiger im Stau stehen, heißt es für S-Bahnen: Volle Fahrt voraus! Die Bahnen fahren auf eigenen Gleiskörpern und können ihre Fahrgäste dadurch schnell von A nach B transportieren.

Leider ist der Ausbau des Schienenverkehrs stets ein langfristiges Projekt. Wer kurzfristige Maßnahmen ergreifen möchte, investiert daher in den Ausbau seines Bussystems. Denn Busse sind relativ schnell am Markt verfügbar und können vorhandene Straßeninfrastruktur nutzen. Dabei sind verschiedene Dinge denkbar: „Städte entpuppen sich häufig als Nadelöhr, weil man in der Regel radiale Systeme baut, die sich dann in den Stadtzentren treffen“, erklärt Bauer. Dort erreichen die Kapazitäten schließlich ihr Limit. „Alternativ könnte man tangentiale Verbindungen schaffen, die bereits am Stadtrand für Entlastung sorgen“, führt Dr. Jürgen Gies fort. Gies ist wissenschaftlicher Mitarbeiter beim difu und organisiert gemeinsam mit Bauer das Seminar „Mobilität zwischen Stadt und Umland. Verflechtung neu gestalten!“.

Um solche Planungen erfolgreich umsetzen zu können, ist interkommunale Kooperation gefragt. „Leider scheitern interkommunale Kooperationen häufig an der Lastenverteilung der Partner“, berichtet Gies. „Doch ziehen alle Gebietskörperschaften an einem Strang, kann diese Hürde genommen werden und Projekte können über Stadtgrenzen hinweg gelingen.“

"Mobilität zwischen Stadt und Umland: Hier ist interkommunale Kooperation gefragt."

Dr. Jürgen Gies

Als positives Beispiel führt der ÖPNV-Experte die CityBahn an, die Mainz und Wiesbaden mit dem Main-Taunus-Kreis verbinden und Lärm- und Abgasemissionen in der Region verringern soll. „Hier ist ein gemeinsames Problembewusstsein entstanden, aus dem heraus sich eine starke Interessenskoalition gebildet hat“, so Gies.

Und was ist mit dem Weg zur und von der Haltestelle weg? „Statistiken zeigen, dass die meisten Menschen zu Fuß zum ÖPNV gehen“, sagt Gies. Das bedeutet, dass Städte und Kommunen Haltestellen in ihre Fußwegeplanung stark einbeziehen müssen. Nur so können sie gängige Abkürzungen identifizieren, Ampelschaltungen für Fußgänger optimieren oder Angsträume erkennen und beispielsweise durch eine bessere Beleuchtung das subjektive Sicherheitsgefühl steigern. „Tatsächlich wird das oft noch nicht zusammengedacht“, sagt Bauer.

Dasselbe gilt für Park & Ride – sei es zum Bilden von Fahrgemeinschaften oder für die Kombination Fahrrad und Bahn.

Erfolgsrezept Push und Pull

An vielen Umsteigepunkten fehlt es derzeit noch an Parkmöglichkeiten für Fahrrädern, an denen man das Velo geschützt und sicher abstellen kann, um dann stadteinwärts weiterzuziehen. „Um das Radfahren im intermodalen Verkehr attraktiver zu machen, muss es den Menschen möglich sein, auch hochwertigere Räder und E-Bikes sicher verschließen und überdacht abstellen zu können“, sagt Bauer. Eine klare Pull-Strategie.

„Doch ohne Push wird es nicht gehen“, sagt Schlaich. Höhere Parkgebühren sowie Maut oder Einfahrverbote von Verbrennern gehören zu den möglichen Maßnahmen, die beispielsweise dazu führen, dass sich Pendlerverkehre anders organisieren. Aktuell liegt der durchschnittliche Besetzungsgrad eines Pkws im Berufsverkehr bei 1,2 Personen. „Eine Möglichkeit bieten hier sogenannte Pendlerparkplätze, an denen sich Menschen verabreden können, um das Auto, das zum Betrieb fährt, effektiver auszulasten“, gibt Bauer ein Beispiel. „Gebe ich als Stadt, Kommune oder Arbeitgeber solchen Fahrgemeinschaften beim Parken Vorrang, während ich Einzelfahrern diesen Benefit verwehre, kann ich die richtigen Anreize setzen.“

„Da uns Kraftfahrzeuge noch eine Weile begleiten werden, sollten wir auch alternative Maßnahmen in Betracht ziehen, die Effizienz versprechend sind“, sagt auch Schlaich. Neben klassischen Fahrgemeinschaften könnten auch Ridepooling-Angebote dabei unterstützen, dass insgesamt weniger Fahrzeugkilometer gefahren und dadurch weniger Emissionen produziert werden. Dafür fassen Ridepooling-Anbieter verschiedene Fahrtwünsche in einem Verkehrsmittel zusammen und sorgen dafür, dass sich Menschen für ihre Fahrten ein Fahrzeug teilen. Carsharing-Angebote fördern wiederum, dass unterm Strich weniger Autos benötigt werden und durch einen regelmäßigen Austausch auch immer wieder moderne und ökologischere Fahrzeuge auf die Straße kommen.

Damit könnten Carsharing-Angebote darüber hinaus dabei helfen, E-Mobilität salonfähig zu machen: Verschiedene Studien zeigen, dass die Kaufbereitschaft für Elektroautos mit erlebten Fahrten steigt. Carsharing-Angebote bieten hier einen leichten Zugang zur Elektromobilität.

Die Henne und das Ei: Passende Ladeinfrastruktur für E-Mobilität

Keine passende Ladeinfrastruktur zu Hause und in Städten verringert die Kaufbereitschaft wiederum. Hier gilt es, die passenden Rahmenbedingungen zu schaffen. Eine Aufgabe der Bundesregierung: Bis 2030 möchte sie eine Million Ladepunkte zur Verfügung stellen. Städte und Kommunen sind gefragt, diese Entwicklung zu fördern. Sie müssen sich rechtzeitig Gedanken über eine geeignete Ladeinfrastruktur für Elektromobilität machen. Dafür müssen sinnvolle Standorte ermittelt und Anträge gestellt werden. Eine neue Aufgabe für Städte und Kommunen. Um diese bewältigen zu können, hat die Bundesregierung die Nationale Leitstelle Ladeinfrastruktur gegründet. Ihre Kernaufgabe wird es in den kommenden Monaten und Jahren sein, Städte und Kommunen bei der Bedarfsberechnung, der Planung und koordinierter Aufbau eines deutschlandweiten Schnellladenetzes zu unterstützen. So soll E-Mobilität ins Rollen kommen.

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