Menu
Wie Algorithmen die Energiewelt verändern
Algorithmen verändern die Energiewelt. Doch wie genau? Wir haben uns mit Professorin Altmann-Dieses unterhalten, die an der Hochschule Karlsruhe zu dem Thema forscht.
Im Rahmen des Projekts SESAM wollen wir erproben, wie die Energiewende für landwirtschaftliche Betriebe gelingen kann. Leitung des exemplarischen Vorhabens hat Landmaschinenhersteller John Deere.
Ein Teil des Projekts: Leistungsspitzen, die das Stromnetz stark auslasten können, sollen auf der SESAM-Farm perspektivisch abgefangen werden – durch Einsatz der Traktorbatterie des elektrischen Traktors.
AUSLESE - DARUM GEHT`S HIER:
- Algorithmen können helfen, Lastspitzen zu vermeiden
- Auch für die Koordination und Planung einer großen Menge dezentraler Erzeuger und Verbraucher sind sie von Bedeutung
- Erklärt anhand: Beispiel Bauernhof – Energiewelt allgemein
Der optimierte Einsatz dieser Batterie soll mit Hilfe von Algorithmen vorausschauend geregelt werden. Solche Algorithmen wurden unter anderem in einer Bachelorarbeit in Zusammenarbeit mit unseren Kollegen von der Netz AG an der Hochschule Karlsruhe entwickelt.
Unser Interview mit Prof.Altmann-Dieses
Wir haben uns mit der Betreuerin der Bachelorarbeit, Frau Prof. Altmann-Dieses, unterhalten. Angelika Altmann-Dieses kam im Jahr 2008 an die Hochschule Karlsruhe – Technik und Wirtschaft. Als Professorin für Mathematik lehrt sie seither an der Fakultät für Wirtschaftswissenschaften und forscht im Bereich der optimalen Steuerung und optimierungsbasierten, modellprädiktiven Regelung mit Anwendungen im Chemie- und Energiesektor.
Wie können Algorithmen den Alltag auf dem Bauernhof verbessern?
Prof. Altmann-Dieses: Jeder Nutzer eines Stromnetzes entrichtet Netznutzungsentgelte an den zugehörigen Verteilnetzbetreiber. Insbesondere bei gewerblichen Kunden hängt die Höhe dieser Entgelte maßgeblich von der im Jahr maximal bezogenen Leistung ab. Somit kann bereits eine einmalig angeforderte, hohe Leistung die zu entrichtenden Entgelte für das gesamte Jahr deutlich erhöhen. Hier besteht also durchaus Optimierungsbedarf: Man möchte diese Bezugsspitzen begrenzen. Das geht beispielsweise durch einen Batteriespeicher und eine Software, die den Einsatz des Speichers vorausschauend plant.
Im Vergleich zu konventionellen Reglern, die maßgeblich den aktuellen Zustand eines System betrachten und damit nur eingeschränkt vorausschauend handlungsfähig sind, können durch den Einsatz modellprädiktiver Regelungsverfahren zukünftige Umgebungseinflüsse für langfristige Regelentscheidungen aktiv mit einbezogen werden. Diese Entscheidungen werden dann im laufenden Betrieb stetig aktualisiert und auf aktuelle Störungen und Ereignisse angepasst.
Um es konkreter zu machen: Auf dem Bauernhof ist klar: Morgens um sechs werden die Kühe gemolken. Die Milch muss anschließend gekühlt werden – ich werde viel Strom brauchen, hier wird es also eine Bezugsspitze geben.
Eine vorausschauende Regelung kann dieses Ereignis für die Beladung der Batterie mit einplanen und eine ausreichende Beladung zum entsprechenden Zeitpunkt zur Verfügung stellen.
Angenommen, nun fällt ein großer Verbraucher aus, z. B. das Kühlhaus. Die Batteriezuschaltung macht nun vielleicht keinen Sinn mehr, da der geringere Strombedarf nun eventuell auch über das Netz gedeckt werden kann, sofern Netzentgelte in entsprechender Höhe bereits gezahlt wurden. Unsere Regelung erkennt die Abweichung vom Plan und passt sich an – die Batterie wird auf einem niedrigen Ladelevel gehalten und so geschont.
Das ist ähnlich wie wenn wir Auto fahren. Wir kennen die Strecke, fahren sie vorausschauend nach unseren Erfahrungswerten ab. Plötzlich gibt es eine Änderung, eine Baustelle ändert die Fahrbahnführung. Unser Gehirn schaltet blitzschnell von den Erfahrungswerten auf diese Änderung um: Wir passen zum Beispiel unsere Geschwindigkeit an.
Im Rahmen einer Bachelor-Thesis haben wir nun in einer Simulationsstudie untersucht, welche Potenziale der Einsatz einer solchen Regelung für die Begrenzung nutzungstypischer Leistungsspitzen und den schonenden Einsatz eines Batteriespeichers unter Berücksichtigung bereits entrichteter Netzentgelte sowie Unsicherheiten in den vorhergesagten Bezugsprofilen bietet.
INFO: Was ist eine prädiktive Regelung?
Für eine prädiktive Regelung wird zuerst ein mathematisches Modell eines Systems erstellt, mit dem eine Vorhersage für das zukünftige Verhalten des Systems simuliert werden kann. Mit Hilfe dieses Modells werden dann im laufenden Betrieb Regelentscheidungen errechnet, die es ermöglichen ein bestimmtes Ziel (z. B. die Deckung eines Bedarfs) möglichst schnell und/oder möglichst günstig zu erreichen. Nach einer bestimmten Zeit wird der Ist-Zustand des Systems mit dem Sollzustand aus dem Modell verglichen,
der Zeithorizont der Optimierung nach vorne in die Zukunft verschoben und der Optimierungsalgorithmus zur Anpassung der Regelentscheidungen auf den tatsächlich erreichten Systemzustand erneut durchgeführt. Der Einsatz solcher Verfahren ermöglicht die Berücksichtigung eines voraussichtlichen, zukünftigen Systemverhaltens für aktuelle Regelentscheidungen, wobei die Vorhersagegenauigkeit hierbei ein entscheidender Faktor ist. Diese Art der Regelung kommt sowohl für lineare als auch für nichtlineare Optimierungsprobleme in Frage.
Wo sehen Sie künftig Algorithmen in der Energiewelt?
Prof. Altmann-Dieses: Eine wichtige Rolle werden Algorithmen bei der Koordination, Planung und Regelung von z. B. lokalen Energiemärkten, virtuellen Kraftwerken, Microgrids, fluktuierenden erneuerbaren Erzeugern sowie im Demand Side Management und bei der Abbildung von Märkten spielen. Darüber hinaus finden Algorithmen Anwendung bei der Erstellung von Prognosen für z. B. die Verfügbarkeit und den Bedarf von Energie.
Die Koordination und Planung einer großen Menge dezentraler Erzeuger und Verbraucher unter der Berücksichtigung einer Vielzahl von Rahmenbedingungen und gegenseitigen Abhängigkeiten ist eine komplexe Aufgabe, zu der Methoden der mathematischen Optimierung einen großen Beitrag leisten können. Für die Vorhersage z. B. der Verfügbarkeit erneuerbarer Energien und die Prognose anfallender Bedarfe könnten verstärkt datengetriebene Ansätze aus dem Bereich des maschinellen Lernens zum Einsatz kommen.
Wie werden Algorithmen künftig unser Leben prägen?
Prof. Altmann-Dieses: Algorithmen werden Einfluss auf die meisten Lebensbereiche haben. In Bezug auf Energiesystemen kann der verbreitete Einsatz von selbstlernenden Algorithmen es z. B. ermöglichen, den Betrieb von Heizungs- und Klimasystemen von Gebäuden auf das Verhalten seiner Bewohner oder Nutzer anzupassen und somit die entsprechenden Erzeugungsanlagen vorausschauend und effizient zu betreiben, was sowohl ökologische wie auch finanzielle Vorteile bietet.
Ist z. B. der Bedarf an warmem Wasser für ein Gebäude in Mengen und Zeitpunkten hinreichend genau bekannt (oder gelernt worden) und es existieren Modelle von Wärmeerzeugern und Speichern die eine Abschätzung ermöglichen, wie schnell eine entsprechende Menge an warmem Wasser bereitgestellt und/oder sinnvoll gespeichert werden kann, dann kann die Beladung des Speichers zu einem Zeitpunkt z. B. günstiger Energiepreise erfolgen oder Speicherverluste durch unnötiges Vorhalten von warmem Wasser vermieden werden.
Existiert z. B. ein Modell, das den Einfluss von Heiz- und Kühlsystemen sowie Wettereinflüssen und Gebäudenutzung auf die Temperatur eines Gebäudes geeignet abbildet, so kann dieses dazu eingesetzt werden möglichst günstige und effiziente Heizungs- und Kühlungsprofile für das Gebäude zu bestimmen. So können dann z. B. die Gebäudemassen aktiv als Wärme- und Kältespeicher in der Regelung der Raumtemperatur berücksichtigt und ein Bürogebäude in Vorbereitung auf einen vorhergesagten, heißen Sommertag bereits in der vorangehenden Nacht aktiv gekühlt werden – jedoch nur so weit, wie dies für die erwarteten Außentemperaturen und Sonneneinstrahlung tatsächlich notwendig ist.
Müssen wir Angst vor der Macht von Algorithmen haben oder wird es demokratische menschliche Algorithmen geben?
Prof. Altmann-Dieses: Es ist wichtig, ethische Aspekte beim Design und der Anwendung von Algorithmen aktiv zu berücksichtigen, unabhängig vom Einsatzbereich. Generell können Maschinen bei ihren Entscheidungen nur die Aspekte berücksichtigen, die ihnen von außen eingegeben werden. Algorithmen können diese vorbereiten und unterstützen. Wie weit die finale Entscheidungsgewalt letztlich "outgesourct" wird, liegt jedoch in menschlicher Hand.
Wieso haben Sie sich für Mathematik entschieden?
Prof. Altmann-Dieses: Mich fasziniert vor allem die Abstraktionsebene der Mathematik, mit der verschiedenste praxisrelevante Probleme effizient gelöst werden können. Die Mathematik stellt interdisziplinär und länderübergreifend eine gemeinsame Sprache dar. Darüber hinaus gefällt mir die Ästhetik mathematischer Ansätze. Meine Forschungsschwerpunkte sind nicht-lineare Optimierung, Model-based Optimum Design of Experiments (DoE) und Optimal Control mit Anwendungen vor allem im Chemie- und Energiesektor.
Welcher Rolle spielt für Sie Diversity in der Mathematik?
Prof. Altmann-Dieses: Der Frauenanteil im Bereich Wirtschaftsingenieurwesen (WI) an der Hochschule Karlsruhe liegt derzeit erst bei rund 20 %. In Deutschland haben Frauen nach wie vor weniger Interesse an MINT-Fächern, Sie trauen sich bei gleicher Qualifikation eher weniger Erfolg zu. Sie studieren dafür oft disziplinierter und mit besserem Erfolg. Wir im WI-Bereich tun alles dafür, mehr Frauen auch als Mitarbeiterinnen und Lehrkräfte zu gewinnen.
Darüber hinaus fördern wir in hohem Maße die Zusammenarbeit mit Hochschulen und Studierenden anderer Länder. Offenheit und Verständnis für andere Kulturen fördern in jedem Fall den Erfolg in Studium und Beruf. Zudem ist der Anteil von Frauen in den MINT-Fächern in vielen anderen Ländern z. B. auch in Südeuropa bereits deutlich höher. Mich treibt auch als erste Frau im Prorektoramt der Hochschule Karlsruhe die Frage um, wie wir es in Zukunft gemeinsam schaffen, die Attraktivität unserer Studiengänge für Frauen zu erhöhen.
Stellen Sie uns bitte kurz die Hochschule Karlsruhe vor.
Prof. Altmann-Dieses: Die Hochschule Karlsruhe ist mit ca. 8.000 Studierenden eine der größten Hochschulen für angewandte Wissenschaft in Baden-Württemberg. Über 200 Professor*innen lehren an 6 Fakultäten, darunter Elektro- und Informationstechnik und Wirtschaftswissenschaften. Dazu zählt auch der Studiengang Wirtschaftsingenieurwesen, der bereits 1965 als erster seiner Art an der Hochschule Karlsruhe eingerichtet wurde. Die Hochschule verfügt über Kontakte zu mehr als 170 Partnerhochschulen war.
Unser Buchtipp zum Thema Algorithmen
Hannah Fry. Hello World - Was Algorithmen können und wie sie unser Leben verändern
C.H. Beck Verlag, München 2019
ISBN 9783406732195
Gebunden, 272 Seiten, 19,95 EUR
Mehr interessantes Gezwitscher:
26.06.2019
Nachhaltigkeit gestalten |
Energiewende auf dem Bauernhof
Gezielter Einsatz von Dünger, Sensoren am Tier und autonom fahrende Landmaschinen: Die Digitalisierung der Landwirtschaft bringt große Chancen mit sich. Aber auch Risiken und gesteigerte Anforderungen an die Landwirte. Wir haben mit einem Gutsleiter gesprochen, der seinen Betrieb schon für die Zukunft vorbereitet.
Mehr lesen Mehr lesen