Energiewende erzählen

Energiewende erzählen

Prof. Dr. Ingo Uhlig forscht zur Energiewende im sozialen und kulturellen Kontext. "Die Energiewende führt ins Herz unserer Gesellschaft“, sagt er.

Prof.Ingo Uhlig
Prof. Ingo Uhlig ist Kulturwissenschaftler an der Technischen Universität Berlin. Er arbeitet im Verbundprojekt "WindNODE. Das Schaufenster für intelligente Energie aus dem Nordosten Deutschlands" und forscht zur Energiewende im Spiegel von Gegenwartsliteratur und -kunst.

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Was bedeutet die Energiewende für unsere Gesellschaft?

 

Ingo Uhlig: Die Energiewende ist ein vielgestaltiger und facettenreicher, man könnte auch sagen, ein unverschämt komplexer Forschungsgegenstand. Ich gehe davon aus, dass wir die Energiewende nicht verstehen können, wenn wir sie nur als eine Art Produktpalette begreifen, die technisch entwickelt, bereitgestellt und von Kunden und Kundinnen vergütet wird.  Vielmehr führt sie ins Herz unserer Gegenwartsgesellschaft und -kultur.

Demonstration - Fridays for future

Die Frage nach sauberen und nachhaltigen Energien ist präsent in vielen Alltagsentscheidungen, Wertsetzungen, Emotionen und natürlich in Bewegungen wie Fridays for Future und den medialen Debatten darüber. Jeder – ob mit Begeisterung oder Skepsis – verhält sich irgendwie zum Energiewende-Projekt.
Den breit gefächerten Charakter sieht man ja auch an den vielen Berufsgruppen, die an der Energiewende mitgestalten: Sie treibt Ingenieure, Unternehmen und Politiker um, sie interessiert aber ebenso Lehrer, Architekten und Kulturschaffende wie Künstler, Schriftsteller oder Leute, die Filme machen. Aus dieser Perspektive betrachtet ist die Energiewende ein soziales und kulturelles Phänomen.

Wie spiegelt sich die Energiewende in der Kunst wider?

Ingo Uhlig: Jede moderne Energie-Innovation seit der Romantik führte ihre eigenen Erzählungen mit sich. Die Einführung der Elektrizität, die Kohle, die Atomkraft hatten immer massive kulturelle Folgen. Also man kann an die Experimentalkulturen der Romantik und der Goethezeit denken, als eine ganze Literaturepoche um das Geheimnis des elektrischen Stroms kreiste, später dann an die sozialen Verwerfungen der kohlebasierten Industrialisierung und die demokratischen Hoffnungen, die demgegenüber auf einer breiten Elektrifizierung lagen. Das findet sich natürlich auch in der Literatur niedergelegt. Im 20. Jahrhundert rückt die Kernspaltung die Ambivalenz technischer Innovation ins Bewusstsein.

Flyer - Internationale elektro-technische Ausstellung
Auf diesem historischen Werbeplakat verkörpert die klassizistische Frauengestalt die Elektrizität, mit der man die Hoffnung auf eineschonendere Industrialisierung verband. Die männliche Figur unter ihr steht für die wenig fortschrittliche und bereits ins Abseits geratene Dampfkraft.

Wir sprechen hier von Energie und Energietechnik, immer aber auch von Veränderungen mit Folgen für Lebens- und Arbeitswelten, die von der Literatur sehr genau, wie mit einer Art Brennglas, nachgezeichnet wurden. Die literarischen Texte stecken also voller Wissen über vergangene und gegenwärtige Energieumbrüche.

In einer Essay-Serie für WindNODE arbeite ich Energie-Narrative zum Beispiel historisch auf und gehe vor allem den literarischen Verarbeitungen der Energie nach. Hieraus versuchen wir zu lernen, um nicht zuletzt die aktuelle Energiewende besser zu verstehen und sie besser beschreiben zu können. Unser Ziel ist es, Energiewende und Gesellschaft näher zueinander zu bringen. Hierfür sind Argumente aber auch inspirierende Erzählungen wichtig.

Klimawandel & Energiewende in der Bildenden Kunst

Lettin-Medaille Nr. 26

Neben der literarischen Sammlung gibt es eine Sammlung zu aktueller Bildender Kunst, die sich mit den Themen Klimawandel und Erneuerbare Energiewende Energien beschäftigt. Das Ergebnis kann man bereits sehen auf der Webseite www.artwork.earth. Dabei handelt es sich um eine Weltkarte, einen digitalen Atlas, der wie ein Archiv funktioniert.

Statt jetzt aber lange Beschreibungen zu liefern, kann ich nur dazu einladen, sich dieses Projekt kurz (oder vielleicht auch länger) anzusehen. Vielen Bildenden Künstlern und Künstlerinnen sind die ökologischen Gefahren des Klimawandels sehr bewusst. Die Kunst ist aber ebenso erfinderisch und sensibel für die Chancen und die Sinngehalte, die aus dem nachhaltigen Umgang mit Ressourcen hervorgehen können.

Wenn alles nach Plan läuft, wird aus den e-storys ganz altmodisch ein Buch und artwork.earth wird weiter online ausgebaut. Das soll ein großes Klima- und Energieentwicklungen begleitendes Archiv werden, dass ohne zeitliche Begrenzung weiterlaufen kann. Ich bin sehr zuversichtlich, dass artwork.earth Kontinuität hat.

Welche Narrative braucht die Energiewende?

Ingo Uhlig: Narrative sollen positive Entwicklungen entwerfen und anschaulich machen. Anders gesagt: Sie sollen Fortschritt erzählen.

Vor dem Hintergrund des globalen Klimawandels kann Fortschritt nicht mehr heißen, in alle Richtungen weiter zu expandieren. Fortschritt wird sich stärker ökologisch bemessen und wird dann wahrgenommen, wenn wir intelligenter mit unseren Ressourcen und unserem Planeten umgehen, weniger CO2, Müll und Gift produzieren.

Baum Hand Herz

Ich denke in diesem intelligenten Umgang mit unserer Umwelt werden die Energiewende-Narrative zumeist ihr thematisches Zentrum finden. Ausgehend von einer Basis, die den fossilen Energien technologisch und ökologisch überlegen ist, können Regionen oder Unternehmen die Energiewende erzählen und tun dies ja auch schon. Stärker eingefügt werden könnte dieses Narrativ allerdings in einen Entwurf, der zudem ethische und ästhetische Merkmale definiert.

Also ein Narrativ, das Wohlstand, Glück oder Erfolg nicht an die Fassade des expansiven Lebensstils oder schlichter gesagt: Verschwendung koppelt. Sondern ein Narrativ, das zeigt, dass die ökologisch verträgliche Gestaltung von Lebensräumen diese Räume zugleich mit Sinn erfüllt und attraktiver macht.
An dieser Stelle passiert wahrscheinlich zweierlei: Erstens wird aus dem Narrativ ein Plural, denn es hängt viel von Orten oder Regionen und den spezifischen Situationen ab. Zweitens sollte tatsächliche Kreativität ins Spiel kommen, mit anderen Worten, es ist die Kunst, es sind Gestalter und Designerinnen, die immer das beste Gespür für den Reiz des Neuen haben und denen es gelingt, ihm Formen und Sinneseindrücke zu geben. Ein historischer Orientierungspunkt könnte hier vielleicht „Bauhaus“ lauten.

Hat sich Ihre Sicht auf die Windkraft durch Ihre Arbeit verändert?

Ingo Uhlig: Klar! Ich weiß nun mehr über die technischen Belange, ich bin da, obwohl von Hause aus fachfremd, sehr wissbegierig. Über den notwendigen Einsatz von digitalen Technologien, flexiblen Netzen, Speicherformen, über die Rolle der Prognostik und der Daten, die auf der Seite der Wetterphänomene und auf der Verbraucherseite (Stichwort Lastverschiebung) eine wichtige Rolle spielen. Darüber hinaus steht die Windkraft aber meines Erachtens mehr denn je für ein sinnvolles Energiekonzept.

Windpark Kindenheim

Anstatt die alten Energieträger aus der Erde zu holen und mit horrenden Nebenfolgen zu nutzen. Wichtig wäre, dass sich die Diskussionen endlich entspannen und Windkraft-Anlagen auch on-shore wieder gebaut werden können. Natürlich müssen Windräder gut überlegt in die Natur- und Kulturräume integriert werden. Aber es hilft meines Erachtens schon viel, sich eine beliebige Fernseh-Doku über die Umweltfolgen fossiler oder atomarer Energien anzusehen, um zu verstehen, wie deutlich die Vorteile der Erneuerbaren Energien sind.

Vor welchen Herausforderungen stehen wir bei der Vermittlung der Energiewende in Zukunft?

Ingo Uhlig: Vielleicht erleben wir gerade einen günstigen Zeitpunkt: Die lange Gewöhnung an die fossilen Energien hat uns zu Verschwendern und Verschwenderinnen gemacht und gerade beginnt die Zeit, in der uns das berühmte Licht aufgeht und wir die Zeugnisse und Symbole dieser Verschwendung nicht mehr ohne ein gewisses Unbehagen betrachten können. Mit anderen Worten: Ein hervorragender Zeitpunkt um kreativ zu werden und die Zukunft anders und besser zu gestalten.
Aber Ihre Frage fordert auch einen nachdenklichen Einwurf heraus: Die Art und Weise, wie die Diskussion um Energiewende und Klimawandel geführt wird, beunruhigt. Das Thema wird von den populistischen Strömungen unserer Zeit erfasst, von Ressentiments und einer Fülle von Behauptungen umstellt, deren Rationalitätsniveau beim besten Willen nicht mehr auffindbar ist. Das Ergebnis ist – wir sehen das alle – Spaltung und ein Ausbremsen wesentlicher und mutiger Reformen. Die Herausforderung läge aber natürlich in größerem gesellschaftlichen Konsens. Hier sind wir schließlich wieder bei dem Potential, das aus ganz elementaren kulturellen Institutionen hervorgeht: Zur Vermittlung der Energiewende brauchen wir mehr denn je die klassischen Bildungseinrichtungen und ihre Pädagogen, die Wissenschaftsvermittlung und den kritischen Journalismus.

Die Zukunft gestalten

"Die beste Art, die Zukunft zu gestalten, ist, sie zu erfinden" - unter diesem Motto arbeitet unser Innovationsteam. Hier mehr dazu erfahren, wie wir arbeiten.

Autor: Maurice Brass

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