Das nächste Neue

Das nächste Neue

In den Flieger nur mit Gesundheitscheck, Fokussierung auf regionale Energie und ein starkes Bedürfnis der Kundschaft nach Versorgungssicherheit: Das sind nur einige der Veränderungen, die Covid-19 uns gebracht hat. Zukunftsforscherin Karin Frick ordnet ein.

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AUSLESE - DARUM GEHT`S HIER:

  • Covid-19 hat unser Verhalten, unseren Alltag und die Geschäftswelt verändert
  • Unternehmen müssen sich die neuen Bedürfnisse von Kundinnen und Kunden einstellen
  • Zukunftsforscherin Karin Frick im Interview

Welche Phasen durchlaufen Krisen und auch Menschen in einer Krise?

Karin Frick: Zunächst haben wir eine unmittelbare Krise. Die Menschen verfallen in dieser Phase meist in Panik. In Panik verhält sich jeder Mensch ähnlich, man versucht sich zu schützen vor der Gefahr und richtet sein Handeln allein danach aus, es geht primär um Essen und Gesundheit. Als nächstes folgt die Phase der Neu-Orientierung. Man versucht sich anzupassen.

Hier wenden Menschen unterschiedliche Verhaltensweisen an, das hängt vom Charakter ab: Während manche Leute nun intensiv shoppen und feiern nach dem Motto „Greif zu, solange du kannst, wir leben nur einmal“, gehen andere nun auf Sicherheit und sparen lieber. In dieser Phase befinden wir uns jetzt. Wir sind in der halben Normalität, wir haben Erfahrungen, aber auch noch viel Ungewissheit, das sieht man in der Diskussion um neue Infektionswellen. Wir ahnen, diese jetzige „Normalität“ wird wahrscheinlich andauern, bis wir eine Impfung haben.

Die nächste, letzte Phase ist das nächste Neue. Es bilden sich neue Strukturen und Prozesse aus und neue Verhaltensweisen. So könnte zum Beispiel Tele-Medizin in Zukunft zur Regel werden. Man geht erst zum Arzt, nachdem man mit ihm telefoniert hat.

Sie vergleichen Corona mit einer erzwungenen Fasten-Kur. Warum?

Karin Frick: Wir mussten fasten in unserem Konsum- und Sozialverhalten. Erstmal tut dieser Verzicht weh, denn einkaufen und Freunde treffen wirken ja wie eine Art  „Genussmittel“. Irgendwann hatte sich der Körper an den Verzicht gewöhnt – wie bei der entschlackenden Wirkung des Fastens.
Die meisten Menschen vermissen dann gar nicht mehr so viel oder hinterfragen, ob sie das Leben bzw. den Konsum aus der Vor-Corona-Zeit überhaupt brauchen. Viele Leute fühlen sich durchaus auch gut in der neuen Situation. Allerdings nur, wenn sie nicht wirtschaftlich und gesundheitlich bedroht sind und sie das Privileg haben, in einer großen Wohnung leben. 

Welche Covid-Verlierer und Gewinner gibt es?

Karin Frick: Verallgemeinern kann: Wer Angebote hat, die digitalisierbar sind, ist sicher ein Gewinner, und wer auf physische Anwesenheit von Kundinnen und Kunden angewiesen ist, hat es schwieriger – außer, die Anwesenehit ist lebensnotwenig wie bei Ärzten.
Ein großer Verlierer ist definitiv der öffentliche Verkehr. Das Auto erlebt seine Renaissance – nicht nur im Autokino!

Fördert Corona die Entfremdung und den Populismus in der Gesellschaft?

Karin Frick:  Ja, definitiv. Gewisse Gruppen kommen einfach nicht mehr zusammen, der öffentliche Raum, in dem sich alle durchmischen, ist nicht mehr im selben Ausmaß verfügbar. Wenn man sich im gesicherten Rahmen trifft, dann sind das Leute, die ähnlich sind wie man selbst, mit ähnlichem Background, aus einer ähnlichen Einkommensklasse. Diese Gruppe verliert dann den Anschluss an andere gesellschaftliche Gruppen.
Zudem sind die Gruppen am Gesellschaftsrand auch mehr betroffen von der Pandemie. Das führt dazu, dass das Verständnis füreinander sinkt und der Zusammenhalt geschwächt wird.

Verstärkt das Virus die Möglichkeit zu Diskriminierung in der Gesellschaft?

Karin Frick: Auch das ist nicht abzustreiten. Beispielweise wird gerade intensiv diskutiert, ob nur noch fliegen darf, wer einen „Gesundheitspass“ hat, d.h. wer nachweislich kein Fieber und keine anderen Krankheitssymptome aufweist. Dass das so kommt, halte ich für sehr realistisch. In Zukunft kann auch niemand mehr mit einem Schnupfen ins Büro.
Menschen aus der Risikogruppe werden auch zunehmend ausgeschlossen: Man schließt sie aus zum eigenen Schutz, das heißt aber trotzdem, sie können zu einem großen Teil nicht am gesellschaftlichen Leben teilhaben. Zum Beispiel an Fussballspielen oder Konzerten, wo die Zuschaueenden eng nebeneinander sitzen.

Gab Corona einen Innovationsschub für Unternehmen?

Karin Frick: Ja, auf jeden Fall. Weil es ums Überleben ging, wurden viele kreativer. Es wurde mehr möglich, weil der alte Weg keine Alternative mehr war. So entstand eine neue Toleranz und Offenheit auch für Projekte, die lange in der Schublade lagen. Einfach mal machen war die Devise! Dazu kommt, dass ja auch viele nicht gesundheitlich bedroht waren und Zeit hatten, so dass die Ideen sprudeln konnten.

Welche Verhaltensweisen oder Regeln aus der Corona-Zeit werden bleiben?

Karin Frick: Die Sicherheitsmaßnahmen werden bleiben, zum Beispiel die eben schon angesprochenen Gesundheitstests. Die potenziellen Folgekosten wären ohne diese Tests auf Dauer einfach zu hoch. Stellen Sie sich vor, sie müssten regelmäßig ein ganzes Schiff in Quarantäne stellen. Dagegen wird die Produktion der Tests schnell billiger und die Logistik immer einfacher werden. So könnten die Tests einfach in den Apotheken durchzuführen sein, kurz vor dem Abflug.
Generell zeigt die Erfahrung: Die Gesellschaft entscheidet sicher immer eher für mehr Sicherheit als für mehr Privatheit.

Wie können sich Unternehmen auf diese Veränderungen nach der Corona-Pandemie einstellen?

Karin Frick: Das Sicherheitsbedürfnis der Kundinnen und Kunden wird größer – da zu schauen, was bieten wir an, wo haben wir Möglichkeiten, uns zu optimieren, macht auf jeden Fall Sinn. Zudem bietet diese Zeit eine große Chance, Dinge zu automatisieren, um sie berührungsfrei zu gestalten. Hier lohnen sich Innovationen. Auch macht es als Unternehmen Sinn zu schauen: Was können wir vor Ort oder im Inland produzieren und wie könnten wir die regionalen Wertschöpfungsnetze stärken.

Wie wird sich die Energiebranche ändern?

Karin Frick: Die lokale Produktion von Energie in Nachbarschaften wird neu bewertet werden. Auch die autarke Erzeugung von Energie für den Alltag und eben nicht vorhersehbare Notfälle gewinnt an Bedeutung.
Zudem gehen wir vom Erlebnis- hin zum Versorgungskonsum: Die Kundinnen und Kunden sind dankbarer und aufmerksamer für Versorgungslösungen und setzen mehr auf Sicherheit. Ein aktives Krisenmanagement und eine sichere Stromversorgung sind von elementarer Bedeutung, auch in der öffentlichen Wahrnehmung. Die Wertschätzung der Grundversorgung ist immens gestiegen. Investitionen in den Ausbau von Infrastrukturen werden in Zukunft mit sicher von der Mehrheit der Bevölkerung unterstützt.

karin frick

Karin Frick ist eine Schweizer Trend- und Zukunftsforscherin. Sie ist Leiterin Research und Mitglied der Geschäftsleitung des Schweizer Think Tank's GDI (Gottlieb Duttweiler Institute). Sie befasst sich seit ihrem Studium an der Universität St. Gallen (HSG) in verschiedenen Funktionen mit Zukunftsthemen, gesellschaftlichem Wandel, Innovation und Veränderungen von Menschen und Märkten.

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